Zum Nichtstun fällt uns nichts ein

Mit Spannung habe ich die Ergebnisse einer Ausschreibung zum Kunstprojekt «Schule der Folgenlosigkeit» erwartet. Drei Stipendien fürs Nichtstun hatte die Hamburger Hochschule für Künste ausgeschrieben. Jetzt wurden die Gewinnerinnen – ja, es sind alles Frauen – bekannt gegeben. Und ich muss sagen: Echt jetzt? Das sollen die besten Ideen sein? Immerhin gab es 2864 Bewerbungen aus 70 Ländern. Wie die FAZ am 18.3.21 in «1600 EUR fürs Nichtstun» schreibt, haben folgende Vorschläge gewonnen:

Die muslimische Feministin Banze will 1 Woche kein Kopftuch tragen. Die Studentin Hofner will 2 Wochen keine verwertbaren personenbezogenen Daten über sich generieren, und eine Fachkraft für Lebensmitteltechnik will ihren Beruf eine Weile nicht ausüben. Hmmm – da hätte ich ja genauso gut einreichen können: Ich schreibe mal keine Kolumne?!

Andererseits, bei Kunst – und gerade bei so einem Thema – weiss man ja nie so recht, ob man nicht an der Nase herumgeführt werden soll. Vielleicht ist der Clou, dass auch die Jury «nichts gemacht» hat, und das Los die Gewinner bestimmte? Wie auch immer, meine Enttäuschung zu dieser Auswahl spornt zum Überlegen an, ob mir selbst etwas eingefallen wäre.

Und das ist es. Schon lange habe ich ein Anliegen, das ich «Weglass-Management» nenne. In einer entsprechenden Führungs- bzw. Machtposition würde ich zum Programm machen, alles aufzuspüren, was man weglassen – sprich wieder abschaffen – kann, vor allem Administratives und Bürokratie. Nach meinen Beobachtungen liegt der Ehrgeiz frisch berufener Führungskräfte meist darauf, Neues & Zusätzliches zu schaffen. Oft wird dabei nur der Initiierungsaufwand des Projektteams gerechnet, das zudem von positiver Energie und viel Elan getragen ist, während der grosse Klotz an Lebenszykluskosten und wenig euphorischer Begleitstimmung gar nicht einkalkuliert wird. Auch gibt es fast nie ein «Haltbarkeitsdatum» nach dem eine laufende Praktik wieder auf den Prüfstein kommt. Gibt es in meinem beruflichen Umfeld denn konkrete Umsetzungsvorschläge für dieses Weglassen? Durchaus: Kürzlich informierte der Schweizerische Nationalfonds, dass bei Förderentscheiden für wissenschaftliche Gesuche auch das Los entscheiden kann – wenn sich welche bei der Evaluation nicht weiter differenzieren lassen. (Quelle: http://www.snf.ch/de/fokusForschung/newsroom/Seiten/news-210331-das-los-kann-entscheiden.aspx). Gut so – besser als Dritt- oder Viertgutachter zu beauftragen. Sowohl für wissenschaftliche als auch wohltätige Projekte erzeugt das Antragschreiben einen riesigen Aufwand. Ich finde, Stiftungen könnten z.B. 20% Ihres Fördervolumens einfach in Leute investieren, die ihren «Scouts» vielversprechend und vertrauenswürdig vorkommen, und das zudem ohne Auflagen und seitenweise Reportingpflichten. Dann fallen die komplexen Workflows und Zeitaufwände rund um Antragseinreichungen und Begutachtungen weg. Bei Gemeinwohlprojekten hat das gerade McKenzie Scott (bekannt als Ex-Frau von Amazons Jeff Bezos) vorgemacht. Wie sie in ihrem Medium-Beitrag beschreibt, hat sie gut 4 Milliarden Dollar in kurzer Zeit gespendet. Ihre Scouts haben unter rund 6.500 Organisationen 384 anhand von äusserst sorgfältigen Recherchen und Kriterien für Vertrauenswürdigkeit ausgesucht. Diese bekamen dann die Gelder wie ein Geschenk das vom Himmel fällt: « … unsolicited and unexpected gifts given with full trust and no strings attached»; also ohne Verwendungsauflagen und ohne Berichtspflicht, so dass diese alle Kraft und Finanzen in ihre eigentliche Arbeit investieren können.

Bestimmt war sie damit nicht unter den Bewerbungen fürs «Nichtstun-Stipendium», aber ich hoffe Ihr Weglassbeispiel macht Schule.

PS: Das Nichtstun-Projekt ist Teil der – derzeit nicht geöffneten – MK&G, Hamburg, Ausstellung «Schule der Folgenlosigkeit – Übungen für ein anderes Leben. Zu dieser gibt es eine App.


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Tags: Kolumne



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