Texte haben Nährwert – mit guten und schlechten Kalorien

Das Thema Ernährung hat sich zum Aufmerksamkeits-Hit entwickelt, manche meinen sogar zu einer Art Ersatzreligion. Die Leute buchen nicht mehr nur Schlemmerferien, sondern zunehmend Fasten-Wellnessen. Die Wirtschaftszeitungen bringen pro Woche mindestens einen Artikel über fleischlose Produkte: Umsatzsteigerungen, Startups, ökologische und gesundheitliche Aspekte von pflanzlichen Nahrungsmitteln. Ich gebe zu, auch ich bin da dabei. Und so bleibt mein Blick an diesen Sätzen der Philosophin und Buchautorin Ariadne von Schirnach hängen: «Ich glaube, dass Texte, ähnlich wie Lebensmittel, Kalorien haben, einen Nährwert. … dass wir darauf achten, wie wir uns nähren. Damit meine ich jetzt nicht nur die guten Hülsenfrüchte und das gedünstete Gemüse, die uns allen wahrscheinlich fürchterlich wohltäten, sondern auch alles andere, was wir in uns hineintun: Bücher, Bilder, Gedanken.» (aus Lichtblicke: Carpe Diem als die Wahrheit des Lebens | Der Pragmaticus vom 26.4.22).

Was löst dieser Vergleich bei Ihnen aus? Mich trifft es wie ein Weckruf; ich spüre direkt den Zeigefinger auf mich gerichtet. Diese Analogie lässt mich nicht mehr los. Mache ich mir denn Gedanken, was ich über den Tag so an Texten in mich hineinstopfe, insbesondere beim «Snacken» zur Entspannung? Könnte ich wie beim Essen die energieliefernden Nährstoffe benennen und das, was am Lesestoff wie Vitalstoffe wirkt?

Nehmen wir als Beispiel einmal Twitter und was wir dort jeweils so konsumieren. Ist das wie eine Zuckerbombe, zwar lecker, aber voller leerer Kalorien, die für den Gehirnmuskelaufbau nichts bringen? Oder eher wie Fleisch, das zwar gute Kalorien hat, aber bei täglichem Konsum übersäuert und allerlei Zivilisationskrankheitsbeschwerden begünstigt? Sind Elon Musk etwa solche Überlegungen durch den Kopf gegangen, weshalb er sich eine Denkpause gönnt, ob Twitter wert ist es zu kaufen?

Spass beiseite und wieder zurück zu den Analogien. Bei Lebensmitteln setzt sich die Kennzeichnung mit einem Nutri-Score für den Nährwert durch. Das wäre doch auch etwas für Online-News. Dann würde der Klick-Baiting-Journalismus mit seinen sich gegenseitig überbietenden Aufreger-Überschriften ziemlich viel rot und orange abbekommen. Nehmen wir uns noch ein weiteres Social-Media-Beispiel vor, das viele Berufstätige auf dem Screen haben. Wie steht es mit dem nährenden Gehalt von LinkedIn-Lektüre? Sind beispielsweise diese hippen Flimmervideos, die sich zunehmend als Visualisierung der Textbeiträge verbreiten, nicht wie der hohe Fettanteil in Wurstwaren? Klar schmeckt es so besser, aber beim Essen hat sich etwas magereres Muskelfleisch als gesünder erwiesen.
Sie merken, das ist ein recht ergiebiger Vergleich. Er soll hier erst einmal nur aufgetischt werden, ohne dass ich ihn weiter durchkaue.

Ernährungsgewohnheiten hinterfragen und ändern ist schwer; aber da dies im Trend ist, fällt es einem einfacher als ohne diese gesellschaftliche (bald Massen-) Bewegung. Wenn diese Entwicklung nur auch auf das Angebot an Lesestoff überspränge? Das wird wohl dauern. Aber wir können schon einmal damit anfangen und bewusster überlegen, was wir in uns an Texten, Gedanken und Bildern so hineintun, was wir neu auf unseren Lektüre-Speiseplan setzen und was wir dafür besser weglassen. Schon eine Idee?

Bildquelle: https://www.pexels.com/photo/hotdog-sandwich-on-white-background-4518645/


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Tags: Kolumne



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