Online-Meetings sind so zur Routine geworden, dass sie natürlich zur Neuen Normalität gehören. Wir wollen ja modern sein! – Das höre ich vielfach als Argument. Aber nicht so schnell bitte, finde ich. Es kommt immer darauf an – manchmal wäre SENDEPAUSE die bessere Wahl. Nehmen wir die grösste Gremiensitzung an unserer Universität als Beispiel. Unsere Senatssitzung ist seit jeher eine Vollversammlung der Ordinarien und von Vertreter/inne/n weiterer Anspruchsgruppen wie Studierende, Mittelbau und Verwaltung. Der Rektor oder die Rektorin hat den Vorsitz. So kommen bis zu 100 Anwesende mit Stimmrecht zusammen. Diese Sitzung findet 4 x pro Halbjahr statt und fast immer erst ab 18 Uhr, damit viele es neben dem Lehrbetrieb terminlich einrichten können. Am ersten Semestertag diesen Februar wurde sie wieder wie ehedem rein als Präsenzveranstaltung durchgeführt. Das hat ein gewisses Aufbegehren ausgelöst. Viele wollen jetzt grundsätzlich das sogenannte Hybrid-Format, d.h. an Sitzungen soll man nach eigenem Gusto entweder in Präsenz oder online teilnehmen können. Eines der für «Hybrid» vorgebrachten Argumente war «Inklusion». Leute mit Familien- und insb. Kinderbetreuungspflichten, die abends zu Hause sein wollen, könnten dann ja online dabei sein. Ein anderes Argument war, dass «Online» bzw. «Hybrid» jetzt nun mal modern – und rein Präsenz dann rückständig – sei.
Hmmm – es kommt darauf an. Ich jedenfalls plädiere dafür, jedes einzelne Meeting-Format anzuschauen und sich im Sinne des Task-Technology-Fit zu überlegen, welche der neuen TechTool-Optionen zum Einsatz kommen sollen. Das hört sich nach Multioptionsstress an. Ich traue es uns aber zu, solche Entscheidungen inzwischen ganz locker und passend treffen zu können. Schauen Sie sich doch mal in Ihrer Küche um – die Vielfalt und Auswahl an Küchenwerkzeugen dürfte gross sein. Bei mir z.B. gibt es mindestens 5 verschiedene Schneebesen, und mir fällt es nicht schwer, je nach Gericht, Topf und Schüssel nach dem passenden davon zu greifen. Nun aber wieder zum konkreten Beispiel und warum ich für die Senatssitzung für das Regelformat «Präsenz» plädiere.
Ich mache mir nämlich Sorgen, dass wir uns mit der Möglichkeit zur ortsunabhängigen Online-Teilnahme weitere Arbeitsverdichtung aufladen. Wenn man aus beruflichen Gründen ortsabwesend ist oder Terminüberschneidungen hat, dann ist eine Absenz völlig akzeptierte Praxis. Gibt man mit Hybrid-Formaten nicht leichtfertig die Möglichkeit auf, sich für seine Abwesenheit zu entschuldigen? Steigt damit nicht der Erwartungsdruck teilzunehmen und das «schlechte Gewissen», wenn man sich dann doch nicht einwählt? Ich fürchte den Einzug des von Social-Media-Überlastung her bekannten FOMO-(Fear-of-missing-out)-Phänomens in die Arbeitswelt. Weiterhin, laufen wir nicht Gefahr von Selbstbetrug, wenn wir uns vorzumachen, wir würden wirklich dabei sein? Also ich jedenfalls habe mich schon auch mal dabei ertappt, «eingeschaltet» zu sein, aber in Wirklichkeit doch nicht ganz bei der Sache. Entspannt und gesund fühlt sich das nicht an; da entscheiden wir uns doch besser klar für «Absenz-Entschuldigungen», zumal im Vorabversand der Sitzungsunterlagen so gut wie alle Geschäfte sehr gut dokumentiert sind. Ich höre immer noch gebrummelte Einwände – deshalb mache ich noch diesen Einwurf: Natürlich gibt es auch mal umstrittene Traktanden und Abstimmungen mit Diskussionsbedarf; die sind aber eher selten und man kennt sie vorher – für diese Sitzungsphasen mit Diskussions- und Meinungsbildungscharakter sollte man natürlich Hybridteilnahmen vorsehen.
Doch zurück zum Argument, was uns eigentlich gut tut. Wenn man sich zu einem Sitzungsort begibt, hat man körperliche Bewegung, eine Zwangspause und auch noch Tapetenwechsel. Ganz zu schweigen von der «Energie» bzw. «Erfüllung», die einem persönliche Begegnungen am Rande der Sitzungsgeschäfte geben. Dass man sich so auch die ein oder andere E-Mail erspart, ist da noch das Geringste. Um meine Präsenzvorliebe emotional-anschaulicher zu machen, führe ich diese Analogie ins Feld: Messe-Parties sind bei grossen Fachevents ja übliche und wichtige gesellschaftliche Versammlungen; es ist ein Privileg eingeladen zu sein bzw. wer dazu gehören will, ist auch gerne dabei. Wer käme diesbezüglich auf die Idee, dass man per Video-Kachel als Gast mitmachen könnte? Warum betrachten wir das «Neue Normal» unserer Senatssitzungen nicht einfach aus diesem Blickwinkel? Statt Technologie aufzufahren könnten wir unserer Senatsgemeinschaft die Präsenz versüssen, wortwörtlich z.B. eine Praline am Platz offerieren. Oder weiter gedacht sogar eine Halbzeitpause mit Getränken und mit Gehirnfutter wie Nüssen einführen? Auch der traditionelle Sitzungsraum und seine Einrichtung sind vielleicht überholt? In den Google-Offices bei Zürich habe ich z.B. einen Versammlungsraum gesehen, der sah wie ein Kinosaal aus – mit bequemen Sesseln und ohne Tische – die man heutzutage ja zunehmend weniger braucht. Kurzum, mein Motto für die Zukunft dieser Meetings ist: «Online-SENDEPAUSE für die Senatssitzung – let’s party!»
Autor: Prof. Dr. Andrea Back
Tags: Kolumne