Fragen zum Verlieben und zum Verzweifeln

An den Tagen “zwischen den Jahren” sollte und möchte man sich auf Innerlichkeit konzentrieren und seinen Mitmenschen Aufmerksamkeit schenken. Wie wäre es deshalb, an sich selbst und an andere interessante Fragen zu stellen, statt an seinen Prompts für einen KI-Chatbot zu feilen?

Viele denken um den Jahreswechsel auch daran, ihre Liebe zu beleben oder eine neue zu finden. Dazu bin ich auf eine vielversprechende Quelle mit dem Titel “Diese 36 Fragen machen verliebt” gestossen. Fremde Menschen verlieben sich innerhalb von 45 Minuten, wenn sie einander diese 36 Fragen beantworten; das besagt zumindest die Studie “Die experimentelle Erzeugung zwischenmenschlicher Nähe” des US-amerikanischen Psychologen Arthur Arons aus den 1980er-Jahren. Einige Kostproben zum Ausprobieren, die sich für ein Weihnachtsessen genauso wie fürs Internet-Dating eignen:

  • Wie würdest du einen perfekten Tag beschreiben? (Nr. 4)
  • Dein Haus, in dem sich alles befindet, was du besitzt, steht in Flammen. Nachdem du deine Familie und Haustiere gerettet hast, reicht die Zeit noch aus, um eine Sache aus dem Haus zu retten. Was wäre das? Warum? (Nr. 34)
  • Wann hast du das letzte Mal für dich gesungen? Für jemand anderen? (bei Nr. 5 lässt sich ja gleich damit loslegen).

Für mehr Innerlichkeit muss man nicht zu zweit sein; es reicht, wenn man Selbstgespräche führt. Als Inspiration dafür bietet sich Max Frischs legendäre Sammlung von Fragebogen über existenzielle Themen an.

Recherchieren Sie doch einmal diese Fragen und geben Sie diese in einen LLM Chatbot ein. Z.B. die Frage Nr. 17: Wem empfehlen Sie sich zu betrinken? Dann merken Sie, dass die GenAI sich verweigert, darauf genau einzugehen oder wenig Tiefsinniges von sich gibt. Auch wenn man etwas mit den Prompt-Formulierungen spielt, z.B. Mit der Frage Nr. 11: Was geniessen Sie unter Alkohol besonders? bleiben die generierten Antworten herkömmlich und uninspiriert. Max Frisch fallen hingegen geistreiche Antwort-Folgefragen ein, etwa h) Erlösung durch Selbstmitleid? und i) dass Sie voller Einfälle sind, d.h., dass Ihnen alles, was Sie unter Alkohol reden, wie ein Einfall vorkommt? Tja, vielleicht ist dies auch eine nützliche Erfahrung für die Beurteilung, wie intelligent diese Art von Chat-KI eigentlich ist.

Ich fand anlässlich der vielen Feiern und kommenden Feiertage diesen Fragebogen XIII “Alkohol” besonders passend, aber hier im Newsletter geht es ja vor allem um Digitale Technologien, und sieh an, auch dazu findet sich etwas. Seine Sammlung von 11 Fragebogen 1966-1971 hat Max Frisch im Jahr 1987, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der TU Berlin, um einen zum Thema “Technik” ergänzt. Im Nachwort der erweiterten Suhrkamp-Ausgabe von 2019 von Amslinger und Strässle heisst es auf S. 126, dass Frisch darin eine Gesellschaft anspricht, in der ein Leben jenseits der Technik und jenseits des Computers gar nicht mehr vorstellbar ist und dass Max Frisch Fragen stellt, die an Brisanz nichts verloren, sondern eher gewonnen haben. Bedenken Sie nur diese drei des Fragebogens XIV:

  • Wenn es Ihnen um die Erfindung eines Geräts geht, das öffentliche Lügen unmöglich macht: Wen können Sie sich als Geldgeber für Ihre kühne Forschung denken? (Nr. 19)
  • Wann hat die Technologie begonnen, unsere menschliche Existenz nicht mehr zu erleichtern (was ursprünglich der Zweck von Geräten ist), sondern eine ausser-menschliche Herrschaft über uns zu errichten und die Natur, die sie sich unterwirft, uns zu entwenden? (Nr. 14)
  • Die Saurier überlebten 250 Millionen Jahre; wie stellen Sie sich ein Wirtschaftswachstum über 250- Millionen Jahre vor? (Stichworte genügen.) (Nr. 9)

Bei dieser Frage Nr. 9 kann man nur kapitulieren und sich einen Einflüsterer wünschen; ich habe keinen AI-Chatbot dafür bemüht – aber vielleicht haben Sie ja Lust, dazu Antworten zu hören?

Bildquelle: https://pixabay.com/de/illustrations/mann-planeten-raum-universum-5987447/


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Tags: Kolumne



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