In der Zwangsjacke des Zähl- und Messwahnsinns

Haben Sie auch den Eindruck, dass das mit dem Zählen und Messen in unserem Arbeitsumfeld – und sogar in anderen Lebensbereichen – ungesunde Ausmasse annimmt, dass Key Performance Indicator Management fast sektenreligionsartige Züge annimmt? Wir Wissenschaftler jedenfalls können ein Lied davon singen, allein was die Kennzahl Publikations-Output angeht.

Natürlich kennen wir alle das Zitat von Peter Drucker: “You can’t manage what you can’t measure.” Aber kannten Sie auch schon Goodhart’s Law “When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure.” (vgl. Goodhart’s law – Wikipedia)?

Da ich mich gerade selbst in Forschung und Lehre intensiver mit Mess- und Managementthemen wie Innovation Accounting und Objectives and Key Results befasse, möchte ich mich auf kritische Reflexion einstimmen, bevor ich zu sehr der Faszination von unter Hype-Verdacht stehenden Fachbüchern erliege. Und so war ich mehr als erfreut, in der Rubrik «Fundstück» des GI-Radar Newsletters (Ausgabe 342 vom 22. September: Die öffentlichen Chatbots kommen – GI-Radar) auf diesen Blogbeitrag von Cedric Chin zu stossen: Goodhart’s Law Isn’t as Useful as You Might Think – Commoncog.

Erwartet hatte ich einen launigen Beitrag über den Zähl- und Messwahnsinn und wie dann doch alle tricksen oder sogar Daten fälschen, statt die eigentlich erwünschten Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Das kommt natürlich häufig vor. Aber der Fachbeitrag widmet sich sehr guten Anregungen, wie Drucker’s und Goodhart’s Weisheiten sich verbünden können: Wenn man es richtig macht, ist kennzahlengestütztes Management eben enorm wirkungsvoll.

Dieses Richtigmachen ist jedoch keineswegs einfach und eine andauernde Herausforderung. Es braucht Freiräume, genauer gesagt gilt es, eine Praxis des Experimentierens mit verschiedenen Kenngrössen zu etablieren. Man erfährt wie das bei Amazon geht, wo im Weekly Business Review in nur einer Stunde 400-500 Messgrössen angeschaut werden. Auch darin steckt eine wertvolle Botschaft: Mit nur einer Handvoll oder gar einer Top-Kenngrösse ist es nicht getan, das Räderwerk für den Geschäftserfolg verstehen zu lernen und besser zu justieren.

So könnte die Kolumne enden, tut sie aber nicht. Ich will dem Gedanken seinen Platz einräumen, dass es immer wieder Sinn macht, sich gegen quantitative Zielvorgaben kritisch zu sträuben. Ich nehme als Beispiel dafür die herrliche Einstellung von Désirée Nick zum Alter als Zahl (S. 126 des Buchs Alte weisse Frau): «60 ist für mich nichts weiter als ein Modus an der Waschmaschine.» Nehmen wir uns doch diesen Spruch zu Herzen, wenn wir angesichts von unbedachten Erfolgszielgrössen Gefahr laufen, den Wald – unsere Arbeitsfreude – vor lauter Bäumen aus dem Blick zu verlieren.

Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/distanz-h%C3%A4nde-meter-coronavirus-4917124/


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