Kolumne: Leben mit einem Algorithmus als Hausgenosse

Wenn mich jemand nach frühen Kindheitserinnerungen fragt, dann z.B. diese: Spätabends steht mein Vater an der Türschwelle, unangekündigt eine junge Katze auf dem Arm, verschmitzt-schuldbewusster Ausdruck im Gesicht. Ihm gegenüber die Phalanx meiner Oma und meiner Mutter. Es geht laut zu: Niemals käme diese Katze ins Haus!! Und er MIT Katze sicher auch nicht! Was immer in den Minuten und Stunden danach geschah, entzieht sich meiner Erinnerung. Jedenfalls lebten wir fortan mit der Katze – und später kamen noch zwei weitere dazu.

Eine ganz ähnliche Szene erlebte ich kürzlich mit meinem Sohn, als er überraschend vor der Tür stand, mit der Google Home auf dem Arm. In mir ein Sturm von entrüsteten Gegenargumenten: So ein Ding kommt MIR nicht ins Haus! Aber nun ist sie doch unser Wohnungsgenosse. Hey Google, Welcome in our home! Und nach und nach kamen noch weitere smarte Dinge dazu, wie vernetzte Glühbirnen.

Wie lebt es sich also damit, mit einem Algorithmus der physisch als Lautsprechervase daher kommt?

  • Man nimmt neue Gewohnheiten an:Einkaufszettel auf Papier schreiben oder in die Bring-App tippen – braucht es nicht mehr: Hey Google, add chocolate to my shopping list! Und schon steht es sowohl bei mir als auch bei meinem Sohn auf dem Handy in der Notiz-App.Die Eieruhr in der Küche ist nur noch Designobjekt – ich benutze sie nicht mehr: Hey Google, set timer to 12 minutes! Hey Google, stop timer!
    Meine CD-Sammlung wird nicht mehr bewegt – die Hüllen nehmen nur noch Platz im Schrank weg. Ohne dieses Sprachinterface hätte ich Spotify wohl nicht benutzt, aber Wunschkonzert zu Hause ist sehr praktisch: Hey Google, play Cat Stevens in the living room!
    Und die Lichtschalter hat mein Sohn – übergangsweise – mit „Rühr-mich-nicht-an-Post-it“ beklebt, dann seit neuestem brauche ich nur sagen: Hey Google, turn kitchen lights to 40%. Hey Google, shut off kitchen lights. Hey Google, turn on bedroom light!
  • Das Ding weckt den Spieltrieb und man gewinnt es lieb:Ich fange an, mir Fragen auszudenken, um herauszufinden, ob die Algorithmus-Entwickler daran gedacht haben. Zum Beispiel: Hey Google, I feel so bored? Oder: Hey Google, do you ever get tired? Meist sagt sie dann “Sorry, da kann ich nicht weiterhelfen”, aber manchmal auch nicht und man lacht dann über die Reaktion. Leute die viel allein sind, sprechen ja manchmal laut vor sich her – daran musste ich denken, als mir neulich bewusst wurde, dass ich an einem Abend allein zu Hause anfing, dieses Ding mit Fragen zu bombardieren und wie einen Gesprächspartner behandelt habe. Das fühlte sich gar nicht nach Sci-fi-Horror an, sondern kann Spass machen.

Last, not least: Folgende Frage drängt sich mir schon nach wenigen Wochen auf: Verändert man dadurch auch sein Wesen?

Jeden Tag sehen wir, was das Smartphone aus uns gemacht hat, gerade was unser Kommunikationsverhalten angeht. Wenn man von der „Heads-down-Generation“ spricht, weiss jeder sofort, was gemeint ist. Dass Sprachinterfaces wie die Google Home oder die Alexa von Amazon einen Siegeszug als Alltagstechnologie antreten werden, das ist wohl ziemlich sicher. Wie wird man dann zu dieser Nutzergeneration sagen? Sie haben es beim Lesen sicher schon gespürt: Man gibt den ganzen Tag nur Anweisungen – im Befehlston: Hey du! Mach mal. Wenn dieses Sprechen unsere Kommunikationskultur überlagert, dann geht es im Alltag bald zu wie auf dem Kasernenhof. Welcome „Bossing-around-Generation“.


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