Kolumne: Velo-Umwege digital, aber mit Herz

Warum dauert es manchmal so lange, bis selbst die Digital-Kreativen auf eine so naheliegende Idee kommen? Der Wissenschaftler Quercia war vier Wochen einer Routenempfehlung seiner Navi-App gefolgt und mit dem Velo auf der stinkenden Massachusetts Avenue zur Arbeit gefahren. Eines Tages machte er spontan einen Umweg und fand sich in einer anderen Welt voll Ruhe und Luftigkeit wieder. Es machte Klick und er verstand: Am kürzesten und schnellsten ist nicht unbedingt am besten. Nun arbeitet er an Navigations-Apps, die das Wohlgefühl als wichtigen Faktor von Routenempfehlungen einbeziehen. Sie heissen deshalb “Happy Maps”. Wie die Forscher das genau machen, steht im Artikel der Welt am Sonntag “Glück auf Umwegen”, 21.6.2015, S. 65. Sie wählen den Big-Data-Ansatz und lassen Algorithmen die Empfehlungen entwickeln. Diese ziehen für die Routenempfehlungen Orte heran, die auf Flickr, Instagramm und in Tweets häufig vorkommen. Die Überlegung dahinter ist, dass Leute vor allem Fotos und Tweets von Umgebungen machen, wo sie sich wohlfühlen. Klingt auf der Höhe der Zeit, aber ist das nicht ein Weg von hinten durch die Brust ins Auge? Warum nicht einfach ortskundige Leute aufrufen, solche Happy-Maps nach dem Wikipedia-Prinzip zusammenzutragen?

Nun, egal, in dem Fall ist mir deren Ziel – und nicht ihr Weg – das wichtigere. Denn sie sprechen mir damit aus der Seele. Neulich packte ich meinen Plan für den Sommer an, öfters mit dem Velo unterwegs zu sein. Ziel war das Zürichseeufer. Seeufer allein klingt ja schon toll, und dann heisst es auch noch so vielversprechend “Goldküste”. Die App von SchweizMobil wies mir den Weg: die Veloland-Route Nr. 66. Trotz dedizierter Fahrradroute war ich etliche Kilometer neben lauten, hektischen und die Luft verpestenden Autos unterwegs, statt wie erhofft am lauschigen Seeufer. Gibt es für diese Strecke keine “Happy Map 66”? Dafür wohl nicht, aber umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die 66 um 180 Grad gekehrt ergibt 99. Und siehe da: Die Veloland-Route 99 ist die sogenannte Herzroute, zu der es heisst: “Nicht Direktheit ist ihr Ziel, sondern der Weg.” Sie verläuft weit ab von Verkehrslärm und Hektik. Da will ich nächstens hin. Lieber ein Umweg, dafür glücklicher.

Das entspricht übrigens auch meiner Arbeitsweise. Vom Magazin managerSeminare wurde ich anfangs 2015 in einem Selfie-Interview nach meinem Arbeitsmotto gefragt. Ich sagte, dass “… ich dazu neige, nicht schnurstracks auf Ziele zuzuarbeiten, ich mäandere vielmehr zum Ziel.” – aber auf die Idee mit den Happy Maps sind trotzdem andere zuerst gekommen. Respekt und Dankeschön!

Bildquelle: https://pixabay.com/photos/column-newspaper-dispute-opinion-5353012/


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