Wenn ich die raffinierten Prompts sehe, mit denen Profis beeindruckende Ergebnisse aus den Generative-AI-Modellen herausholen, überkommt mich bewunderndes Staunen. Aber nicht nur: Es macht sich auch das Gefühl breit, intellektuell nicht mehr ganz auf der Höhe zu sein. Denn obwohl ich durchaus dazulerne, befinde ich mich gefühlt auf einer abfallenden Lernkurve und fürchte, bald zu einer Digitalen Analphabetin zu werden.
Ein Beispiel gefällig? In einem MIT-Online-Kurs zu Applied GenAI starrte ich lange diesen Prompt an, mit dem man die Szene des berühmten Fotos von Ebbets: “Lunch atop a Skyscraper” in die heutige Zeit beamen kann: “add phones and tablets into the hands of these people sitting there image [img url], shot from a low angle, low perspective, close up shot, 60 mm f2.8, PBR, HDR, low angle, macro, zoom in, highly detailed, hyperrealistic, post – photography, 16k, –ar 3:2 –v5 –s 750 –q 2”
Darauf wäre ich einfach so nie von selbst gekommen. D.h., was macht man als beschämter Analphabet, um an all den GenAI-digitalen Errungenschaften Teil haben zu können? Im Mittelalter gab es professionelle Schreiber, die ihre Dienste denen anboten, die nicht in der Lage waren, ihre eigenen Texte zu verfassen. Man konnte Verträge und andere offizielle Dokumente mit ihrer Hilfe auf Papier bringen, oder auch mal einen Liebesbrief texten lassen. Diese Gelehrten hatten ihre Schreibstuben meist auf öffentlichen Plätzen in der Stadt. Wie schön wäre das denn heutzutage?! Ein Prompt-Engineering-Marktstand in St.Gallen oder ein GenAI Café am Bärenplatz, welch zeitgemässes Job-Enrichment für eine/n Barista! Man schlürft seinen Cappuccino, reicht den Cloud-Zugang zu seinem gesammelten Digitalen Leben über die Theke und beginnt, über sein Anliegen plaudern: Die Nebenkostenabrechnung für meine vermieteten Wohnungen ist mühsam, kann man da nicht ein xls-Sheet dafür zaubern? Ich möchte allen meinen PhD-Alumni ein Save-the-Date für meine Abschiedsvorlesung schreiben, aber wo sind die inzwischen zu erreichen? Während des Forschungssemesters habe ich alle Gremiensitzungen verpasst – was sollte ich zusammengefasst davon aktuell noch wissen? Etc., etc., etc.
Sie könnten jetzt einwenden, dass die KI-Entwicklung ja genau darauf hinausläuft, solche menschlichen Assistenten überflüssig zu machen – und zwar so weit, dass man nicht einmal mehr sein Notebook aufklappen oder zum Handy greifen muss. Beim Start-up Humane, welches das Ende der Smartphone-Ära einläuten will, kann man sich eine AI-Brosche ans Revers stecken und losplappern, so wie wenn man einem Assistenten Anweisungen geben würde.
Aber jetzt mal ehrlich – ob das schon bald funktioniert? Für einfache Alltagssachen wohl durchaus, wie Sprache übersetzen, Textzusammenfassungen erstellen oder Fragen wie beim Browsen beantworten. Wenn es anspruchsvoller wird, kommen mir diese Visionen jedoch so vor wie der Hype um das voll autonom fahrende Auto; diese Vollautomatisierung funktioniert ja nur in ganz speziellen Kontexten.
Deshalb finde ich, der menschliche Faktor hat hier noch lange seine Berechtigung. Solche GenAI-Prompting-Baristas braucht man schon allein, um zu verstehen, was überhaupt möglich ist – mit Texten, Programmcode, Audio, Bild und Video –und, ganz abgesehen davon, als kritische Köpfe, um uns davon abzuhalten, all dem künstlich-schlauen Output blind zu trauen. Auch sollten sie wie in einer Apotheke den Beipackzettel erklären, d.h. wie man das Produkt richtig verwendet und sich keine Scherereien durch unrechtmässige Nutzung einhandelt. Das klingt doch nach einem attraktiven Berufsbild, einem mit Anspruch?
Und klar, man könnte natürlich einen Prompt-Engineering Kommunikationskurs machen, um das selbst zu lernen. Nur – Hand aufs Herz: Erinnern Sie sich noch daran, als Sie als Schülerin oder Student in der Bibliothek recherchieren mussten? Natürlich gab und gibt es dafür tolle Suchtools, aber dafür empfiehlt sich, zuerst die Anleitung zu lesen, um sicher zu sein, wie man methodisch kompetent recherchiert. Haben Sie diese Leitfäden gelesen oder gar einen Einführungskurs besucht? Ich jedenfalls kann mich nicht erinnern – nur dass ich mir damals ziemlich “schlau” vorkam, als ich entdeckte, wie erfreut und hilfsbereit die Bibliothekare waren, wenn mal jemand mit ihnen persönlich zu so einem Anliegen gesprochen hat. Übrigens ist auch in unseren Zeiten dieser Service nicht wegrationalisiert: Selbst die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, die sich früh der Digitalen Transformation in eigener Sache angenommen hat, bietet persönliche Rechercheberatung vor Ort oder per Online-Meeting an.
Wer weiss, vielleicht erwacht das Berufsbild der mittelalterlichen Schreiber zu neuem Leben und es kommt eine neue Welle der früher so verbreiteten Internet-Cafés. Von mir aus können das gerne nicht nur gewisse Baristas in ihr Skillprofil und Geschäftsmodell aufnehmen, sondern auch die Barkeeper scheinen mir sehr geeignet – bei ihnen gehört das Gespräch und die Aufmunterung zu Lebensfragen der Gäste ja bereits zum beruflichen Selbstverständnis.
Autor: Prof. Dr. Andrea Back
Tags: Kolumne
1 Kommentar
Jürgen Lauber
Gefällt mir sehr. War anregend und nützlich. Vielen Dank Andrea.