Reden und Interagieren liegt in unserer Natur. Im Silicon Valley setzt ein junger Start-up’ler auf dieses Bedürfnis und testet, ob seine Idee Potential für ein Killer-App hat. Avi Schiffmann hat sich eine KI-basierte Halskette namens «Friend» ausgedacht, mit der man sprechen kann und die gegen Einsamkeit helfen soll. Jedenfalls stieg unsere hiesige Zeitung St.Galler Tagblatt (10. Aug. 24) darauf ein und titelte: «… Ein junger Erfinder macht mit seiner Idee das Silicon Valley verrückt».
Auch wenn Einsamkeit ein zunehmendes gesellschaftliche Problem ist, scheint mir ein anderes Anwendungsfeld aussichtsreicher. In zwischenmenschlichen Beziehungen, ob im beruflichen oder privaten Bereich, richten wir so manchen Schlammassel mit unserer Art zu Reden an. Kommunikations-Skills sind offensichtlich nicht angeboren. Dieser Umstand hat die Wissenschaft und Expert:innen auf den Plan gerufen, so dass wir gute Kommunikation lernen können, z.B. in Seminaren zu Mediation, Konfliktmanagement oder Gewaltfreier Kommunikation. Dann kehrt sich hoffentlich das Sprichwort «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» um.
Dass gelungene Kommunikation komplex ist, wird einem klar, wenn man sich schon nur mit einer kurzen Beschreibung des 4-Ohren-Modells von Schulz von Thun befasst.
Entsprechend gute Kommunikationsfertigkeiten lernt man nur effektiv, wenn man sie auch übt, d.h. sich diese regelrecht antrainiert. Voila! Da ist das Schlagwort, auf das ich hinauswill. Bei Training denken wir inzwischen nicht nur an schweisstreibendes Training im Gym, sondern an Machine Learning und Generative Intelligenz; sie könnte uns diese anstrengende Lernaufgabe leichter machen. Auch macht dieses Kommunikationsmodell anschaulich, dass sowohl der Sender (Wie sage ich es?) als auch der Empfänger (Wie soll ich dies verstehen?) «Übersetzungsarbeit» leisten müssen. Nochmals: Voila! Wenn von Übersetzen die Rede ist, weiss man, dass Generative AI das schon hervorragend alltagstauglich kann.
Nehmen wir nur zwei Kommunikationspraktiken, die in zahlreichen Situationen äusserst wirkungsvoll sind: Ich-Botschaften statt Du-Formulierungen benutzen und statt geschlossener Fragen, offene Fragen zu stellen. Da uns Menschen das aber so gar nicht leichtfällt, besonders wenn der Stresshormonspiegel die Schwierigkeitsstufe schon auf «Nightmare» oder «Hardcore» gehoben hat (wie die höheren Levels im Gaming oft genannt werden), wäre ein digitales Helferlein wie Schiffmanns KI-Friend Halskette nützlich. Allerdings stelle ich mir den Formfaktor anders vor, in Richtung sogenannter «Embodied AI», also AI in einem Körper, unserem oder zumindest dem eines Roboters.
Brain-Computer-Interfaces haben schon grundsätzlich bewiesen, dass sie anhand von Hirnströmen unsere Gedanken lesen können. So ein digitaler Einflüsterer käme also eher als Smart Earring daher. Eine wohl bald machbare Funktionalität wäre, dass der Ohrring mit einem Elektrobizzeln oder Vibrieren interveniert, sobald die Sprachregion im gestressten Gehirn «Du» sagen will. So könnte man noch rechtzeitig den Mund halten und umformulieren. Die reifere Variante könnte zusätzlich gleich die Formulierungsalternative soufflieren. Hier zwei Kostproben, was GPT-3.5 vorschlägt: Formuliere diese Du-Botschaft in Ich-Botschaften um:
Du verstehst mich nicht!
Du hörst mir nicht zu!
Damit wir nicht auf die Marktreife der Smart Earrings warten müssen, könnte man sich andersartige, bereits verfügbare Hardware in der Funktion als «Personal Trainer» vorstellen. Mit einem Bildschirm oder Smarten Lautsprecher zu üben, finde ich allerdings ein wenig öde. Da sind mehr Phantasie und Spieltrieb gefragt:
Vor fast 20 Jahren hatte ich diesen Hasen; der konnte nicht nur – allerdings rudimentär – hören und sprechen, sondern auch mit den Ohren wackeln. Heute arbeiten wir im Computer-Lab mit einem Navel-Robot, der kann sogar ganz allerliebst mit den Augen klimpern.
Nun, wie sähe denn ihr Sozialer Roboter aus, denn Sie als Personal Trainer in ihr Home Gym holen würden?
Autor: Prof. Dr. Andrea Back
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