Die Stimme meines Google Home ist jetzt männlich. Standardmässig spricht bei Sprachassistenten ja eine Frau, wie Siri und Alexa bei Apple und Amazon. Ich habe das kürzlich bewusst, und zwar sendungsbewusst, umgewandelt. Ich fragte mich nämlich, ob da nicht ein Geschlechterklischee dahintersteckt, und da bin ich gerne Emanze, wenn es darum geht, solche zu hinterfragen. Zudem hatte ich für meine Kolumne noch nie ein echtes «Aufreger»-Thema – vielleicht hinterlässt so auch einmal wieder jemand einen Kommentar auf der Blog-Seite?
Gendern und Geschlechterthemen sind schon seit längerem an den Stammtischen und in den Medien präsent; dabei wird meist sehr rechthaberisch, d.h. un-entspannt debattiert. Und jetzt, da Nemo den ESC gewonnen hat, rückt hen dieses polarisierende Thema erst recht ins Rampenlicht. «Hen» – Sie haben richtig gelesen: In Schweden ist man mit zeitgemässen sprachlichen Gepflogenheiten schon weiter; «hen» hat sich als Pronomen für nonbinäre Menschen insbesondere bei jungen Leuten etabliert (vgl. Sie, er und …, St.Galler Tagblatt, 14.5.24, S. 14). Es handelt sich also um eine Sprachinnovation. Und wenn das Wort «Innovation» fällt, werde ich hellwach.
Mit meinen für Geschlechterungerechtigkeiten nun frisch geschärften Sinnen bin ich auf ein Buch von Rebekka Endler (2021) gestossen; es trägt den rätselhaften Titel «Das Patriarchat der Dinge – Warum die Welt Frauen nicht passt.» Was im Beschrieb steht: «Unsere Umwelt wurde von Männern für Männer gestaltet» bzw. «Das Patriarchat ist Urheber und Designer unserer Umwelt.» macht neugierig. Neben Sprache werden u.a. Medizin, Autos und Architektur als Bereiche angeführt, in denen man dieses Phänomen beobachten kann.
Natürlich habe ich mich gefragt, ob das auch für Digitale Dinge gilt. Und ja, Frau Endler nennt im «Kapitel 4: Technologie, Lust und Internet» u.a. dieses Beispiel: Als Apple 2014 die neue App HealthKit präsentierte, sagte Chef-Entwickler Craig Federighi, dass sich damit «alle wichtigen Körperfunktionen überwachen lassen»: Wachstum, Gewicht, Blutzuckerspiegel und vieles mehr, bis hin zum Alkoholwert im Blut. Aber warum verzichtet eine App, die alle wichtigen Gesundheitswerte sammeln möchte, ausgerechnet auf die Monatsblutung? Nun, die Periode wurde einfach v-e-r-g-e-s-s-e-n. Weder unter den Programmierern noch den Ärzten, die bei der Konzeption von HealthKit konsultiert wurden, schien jemand an die Frauen und den Eisprung sowie die Menstruation gedacht zu haben (vgl. z.B. Apple’s Health App Tracks Almost Everything, Except Periods (nbcnews.com)). Viel mehr solcher offensichtlicher Beispiele aus der Welt des Digitalen kommen im Buch allerdings nicht vor.
So stelle also ich mir die Frage, wie es heutzutage mit den Digitalen Dingen steht. Mir fällt zunächst die Gestaltung von Robotern ein. In einem meiner Praxisprojektkurse haben wir Modelle evaluiert, die als Tourguide für die Kunstwerke an der HSG in Frage kämen. Folgende Auswahl haben die Studierenden gefunden:
Da denkt man unweigerlich an männliche Wesen – oder? Diese Roboter sind ja auch vor allem für den Einsatz in industriellen Umgebungen gedacht, wo der Mann als Vorlage nun mal omnipräsent ist. Beim Roboterdesign könnte ich mich also als Aktivistin betätigen und das Aufreger-Thema weiter befeuern, aber besser würde ich mich direkt als Robo-Designerin betätigen.
Weiter kommt mir der jüngst, anfangs Mai vorgestellte Werbe-Clip Crush! von Apple für das neue iPad-Pro M4 in den Sinn, für den sich der Marketing-Chef Tor Myhren schliesslich entschuldigte. Darin werden in einer industriellen Presse u.a. eine Trompete, ein Klavier, Bücher, Kameras und eine menschliche Skulptur zerquetscht, einem gelben Emoticon-Gesicht quellen die Augen aus den Höhlen; als diese Presse wieder aufgeht, liegt ein iPad drin. Die Idee kann man nachvollziehen, nur: Sind niemand Zweifel gekommen, die rücksichtslose Zerstörung kreativer Objekte und Darstellungen von Lebewesen als Genese ihres tollen Tablets zu inszenieren? Ich gebe zu, meine vorurteilsbeladene Hypothese dazu ist, dass bei den Entscheidungs-Gates zu diesem Werbespot vor allem Männer das Sagen hatten.
Tja, genug polemisiert. Ist es nun augenscheinlich, dass auch unsere digitale Umwelt – Software und Hardware – von Männern für Männer gestaltet ist, oder sind es nur Einzelfälle? Smartphones, Notebooks und Bildschirme jedenfalls kommen mir bereits nonbinär vor; da sind wir über allfällige Anfänge mit dem «Mann als Mass aller Dinge» schon hinaus. Aber was ist Ihnen diesbezüglich schon aufgefallen? Ich bin gespannt auf weitere «aufregende» Beispiele und Meinungen, am liebsten verstanden als im intellektuellen Sinne anregende Kommentare.
Autor: Prof. Dr. Andrea Back
Tags: Kolumne