Bauchlandung mit einem Lehrefallstudienexperiment

Forschungssemester sind dazu da, Neues auszuprobieren und durchaus auch etwas zu wagen. Und genau das habe ich gegen Ende meines Forschungssemesters mit einer Projektidee für die Lehre getan, die davon auch profitieren soll. Die Lehrmethode mit Teaching Cases nahm vor genau 100 Jahren an der Harvard Business School ihren Anfang – wer sie gar nicht kennt kann sich kompakt in dieser 5-teiligen Blogpostserie einen Eindruck dazu verschaffen: https://hbsp.harvard.edu/inspiring-minds/the-centennial-of-the-business-case-part-1. Obwohl mich dieser didaktische Ansatz überzeugt, ja sogar fasziniert, unterrichte ich nicht so und gebe zu, auch Vorbehalte gegenüber dem reinen Unterrichtsgespräch zu haben.

In diesem Zwiespalt hat mich ein Online-Artikel bei Harvard Business Publishing in seinen Bann gezogen, der beschreibt wie die Lehrenden Cooray und Duus die Arbeit mit Lehrefallstudien nach Prinzipien von Hackathons gestalten: https://hbsp.harvard.edu/inspiring-minds/digitalhacks-bring-real-world-challenges-and-high-intensity-collaboration-to-business-education. In diesen sogenannten DigitalHacks erarbeiten die Studierenden unter Zeitdruck Ergebnisse zu komplexen Problemstellungen aus Wirtschaft und Gesellschaft. Ein DigitalHack geht über 3 bis 6 Stunden. Die Teams haben 6-8 Personen, und digitale Medien spielen eine wichtige Rolle, nicht nur für die Interaktion und Kollaboration, sondern ebenso als Formate für die Ergebnisse, z.B. als video-pitches, websites, app-mockups etc. Die Lösungen der Teams entstehen – wie in Sprints – in 4-5 zeitlich fix vorgegebenen Takten mit jeweiligen Deliverables. Das sind die Acceleration Tasks, deren Abgaben einzeln bewertet werden und Feedback von den Dozierenden erhalten.

Das ist es! Das probiere ich aus! war mein erster Gedanke. Denn vieles an dieser Art von Lehrefallstudien entspricht dem Wunsch, eine Methode zu finden, die viele Ansprüche erfüllt. Ich denke z.B., dass es doch möglich sein muss, in hybriden Lernsettings zur Zufriedenheit aller zu unterrichten, auch wenn die herrschende Meinung ist, dass entweder alle online sein sollten oder alle im Raum präsent. Zudem erscheint mir Lernen anhand von Kreieren «sympathischer» als reines Analysieren und Diskutieren. Und schliesslich bemühen sich auch viele Teaching-Case-Autor/inn/en von den textlastigen, bis zu 20 Seiten langen Teaching Cases durch Inputs in Videoformat wegzukommen. Last not least ging es mir darum, auch noch Prinzipien des Storytelling einzubauen. Man erkennt unschwer: Das klingt nach eierlegender Wollmilchsau.

Die wurde also in die Welt gesetzt. Als komplexe Aufgabenstellung habe ich die Entwicklung eines Reifegradmodells gewählt, mit dem sich die organisationalen Fähigkeiten einschätzen lassen, sowohl das sogenannte Exploit als auch Explore zu beherrschen. Der CEO von Endress+Hauser erklärt in diesem Vortrag, was damit gemeint ist und was er meint im Unternehmen geschafft zu haben: https://youtu.be/9WuuCJKiUvM. Von den DigiHack-Elementen war «alles» da. Genug Grundlagenwissen durch ein passendes Lehrmodul; als Vorlage ein generisches Reifegradmodell und weiteres ähnliches Assessment; die Erklärung der Aufgabenstellung durch einen echten Protagonisten in Video-Format; die Aufteilung der Aufgabenstellung in mehrere Teilergebnisse; und zur besseren Rollenidentifikation und für emotionale Aufladung habe ich sogar eine Bildergeschichte gemacht:

Dennoch war die Durchführung in der Lehrveranstaltung dann eine Bauchlandung. Nur eine Studierendengruppe hat es überhaupt zum Ergebnis des ersten Acceleration Tasks geschafft. Trotz vieler Häkchen, die ich an die Checkliste der Elemente eines DigiHack machen konnte, hakte es noch an vielen Ecken und Enden. Von Scheitern soll aber nicht die Rede sein – man kann es eine sehr effektive Minimum Viable Solution nennen, denn was ich beim nächsten Mal anders machen will ist zahlreich. Pikanterweise ist vieles darunter, was «man eigentlich wissen müsste», aber Fehler muss man wohl einfach selber machen, bevor man sie wirklich scheut wie «der Teufel das Weihwasser». Hier nur 3 Vorsätze, die ich mit in die nächste Runde dieses Lehrefallstudienexperiments nehme:

  • Für eine neuartige Teaching-Case-Methode muss man auch das ganze Drumherum umgestalten; alle Elemente greifen wie Zahnrädchen ineinander; wenn eines klemmt, knirscht es im gesamten Getriebe (ich hatte einfach nur den traditionellen Übungsteil des Lehrmoduls ersetzt; es muss aber z.B. die Vorbereitung und Lernkultur für diese Art von Aufgabe und Gruppenarbeit anders sein.)
  • Gut Ding will Weile haben. Das Arbeiten unter Zeitdruck ist zwar ein unverzichtbares Gestaltungselement, um den mit Angst besetzten Schritt schnell zu machen überhaupt ins «Machen und Abgeben» zu kommen. Gewisses Vorwissen und Vorbereitung braucht es jedoch, welche in den im Beitrag genannten 3-6 Stunden nicht eingerechnet sind (und ich wollte es auch noch in der Hälfte dieser Zeit schaffen, denn unsere Studierenden sind ja wirklich sehr engagiert und leistungsorientiert).
  • Man kann nicht von sich auf andere schliessen, d.h. man übersieht so schnell wie verschieden der Erfahrungs- und Wissenshorizont von anderen sind. Im Design Thinking heisst es «empathize» oder «know your customer»; das klingt so «banal», aber es ist verdammt schwer und wird unterschätzt. (Ich selbst und auch Doktoranden von mir hielten die Aufgabe für nicht so schwierig; sie war es aber für meine Studierenden, einmal Bachelor-Studierende, einmal Working Professionals.)

Fazit: Halb so schlimm, sowohl für mich als auch für die Studierenden. Watzlawick sagte, man kann nicht nicht Kommunizieren, und so meine ich: Man kann nicht nicht Lernen.


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Tags: Kolumne



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