Arbeitswohnzimmer im Büro

Allerorten wird darüber nachgedacht, wie wohl das neue Normal der Bürogestaltung aussieht. Nur wo zeichnet sich diese Zukunft ab, wo kann man sie besichtigen? Designer und Künstler spüren Zeitströmungen und schaffen sie gleichzeitig mit ihren Werken. Also habe ich mich zu einer internationalen Leitmesse für Möbeldesign aufgemacht, dem Salone di Mobile in Mailand, im Sept. 21 Supersalone genannt. Seit 2015 gehört auch die Ausstellungssektion Workplace 3.0 dazu.

Mein Besuch war nicht nur von purem Interesse getrieben, sondern vielmehr von persönlicher Betroffenheit. Bei uns am Institut ist die Umgestaltung der Büroräume ein Thema. Ich darf sogar mitreden und ein kleines Gemeinschaftsbüro als Pilotobjekt gestalten. Wir sind damit bereits im Projektstadium. Bei den Gesprächen mit dem Bürodesigner hatte ich mein Motto so formuliert: Ich stelle mir ein Arbeitswohnzimmer vor; die Arbeitsumgebung soll so gemütlich und schön wirken, dass wir uns im Büro wohler und produktiver als zu Hause fühlen und uns deshalb gerne auf den Weg ins Büro machen.

Hier stelle ich nun drei Diskussions- und teils auch Reibungspunkte aus diesen Gesprächen vor. Rückendeckung – und auch Infragestellung – meiner Positionen habe ich zunächst bei den Ausstellern der Workplace 3.0 gesucht; es wäre natürlich interessant, auch Ihre Rückmeldungen zu erhalten, inwieweit Sie dafür Sympathien haben oder sie für abwegig halten. Mein wichtigstes Messe-Fazit gebe ich gleich vorab preis: Es wird edel! Die Ära der Pressspanplattenmöbel geht zu Ende.

Damit wären wir schon beim ersten Punkt, zu dem es Kontroversen in unseren Gesprächen gab. Einige haben vermutlich vor Augen, was ich mit Pressspanplattenmöbel meine. Vor einigen Jahren haben Schreibtische im Werkbankdesign in manche Büros Einzug gehalten. Wohl nicht nur, weil Shabby Chic modern ist, sondern insbesondere um zu signalisieren: Bei uns wird nicht verwaltet, sondern gestaltet. Hier sind wir kreativ, hier bauen wir die Zukunft. Hier geht es nicht um Pedanterie und Perfektion, sondern um Ideation, Prototypen und Explorieren. Das hatte und hat seine Berechtigung, klar. Nur kam es mir einfach nicht mehr ganz passend und nicht mehr zeitgemäss für unsere Arbeit am Institut vor. Die Digitale Transformation, der viele unserer Arbeitsgebiete in der Forschung und Projektpraxis zuarbeiten, ist vorangeschritten und nicht mehr im Fuzzy-Frontend-Stadium. Vielerorts ist sie längst angepackt worden, man ist mitten in der Umsetzung. Wie im NextGen Innovation Funnel veranschaulicht folgen auf die erste Phase Zyklen mit Schwerpunkten auf anderen als ideengetriebenen Managementkonzepten.

Diese Entwicklung wollte ich auch in der Möblierung ausgedrückt haben. Die Doktoranden arbeiten an Managementinstrumenten, Geschäfts- und Organisationsmodellen, die inzwischen dem Holzschnittartigen entwachsen sein müssen. Und Perfektion ist nicht auf der Abschaffliste, auch wenn viele das mit der Forderung nach Positiver Fehlerkultur verbinden. Man denke nur daran, dass man sich in einer wissenschaftlichen Arbeit keine Prototypen oder Minimum Viables beim Texten leisten kann: Das Zitieren z.B. muss man von Anfang an mit penibler Sorgfalt angehen. Dies sind Beweggründe, warum ich mich gegen diese Pressspanplatten-Werkstattmöbel gewehrt habe und für edle, aber «leane» Stücke plädiert habe.

Mit dem Stichwort «lean» komme ich zum zweiten Aspekt, bei dem etwas anders werden sollte. Schauen Sie sich einmal in Ihren Büros um. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Schreibtische so schwergewichtig sind? Sie sind so stabil, ja oft regelrecht monströs gebaut, dass sie sich kaum bewegen lassen, wie Barrieren wirken und viel Platz brauchen. Können sie nicht leichtgewichtiger, filigraner sein? Wir sind ja nicht beim Oktoberfest, wo man auf den Tischen tanzen können muss! Und die Zeiten, in denen man sich am Schreibtisch zwischen schweren Bücherstapeln einmauerte sowie Platz für allerlei Gerätschaften wie Drucker, Bildschirmkästen, Telefon etc. brauchte, sind angesichts der Digitalisierungsfortschritte längst vorbei. Mein Team hat sich also – fast zum Erstaunen des Bürodesigners – einmütig für Downsizing zu kleinformatigen, offenen und leichten Tischen eingesetzt. Darüber hinaus haben wir uns dem Grundprinzip «alles mit Rollen» widersetzt. Denn die sind am Schreibtisch gar nicht nötig, wenn man ein Leichtgewicht hat, das sich auch allein oder mit zwei Anpackenden bewegen lässt.

Bleibt also noch etwas Drittes anzuführen, was man heutzutage nicht typischerweise in Büros vorfindet: Nämlich ein Chaiselongue. Beobachten Sie einmal ihre Kinder bei den Hausaufgaben oder fragen Sie sich, in welchen Stellungen Sie während der Homeoffice-Vollzeit gearbeitet haben. Bei mir waren da viele Stunden halbliegend auf dem Sofa dabei, mit dem Notebook auf dem Schoss. Das entspannt, fühlt sich weniger wie Arbeit an, und man ist für ein erfrischendes Managerschläfchen schon richtig positioniert. Ausserdem verlangt der Körper nach Bewegung und auch nach Abwechslung. In unserem zukünftigen Gemeinschaftsbüro werden wir im Sitzen, Liegen und Stehen arbeiten können. Unser Chaiselongue soll aber auch ein Multifunktionsmöbel sein. Es wird uns als Pauseninsel und für einen Kurzschwatz mit Kolleg/inn/en auf Bürospaziergang dienen; da im Vergleich zu einem Sofa die Hälfte der Arm- und Rückenlehnen weggelassen ist, passen sitzend 4-5 Leute drauf.

Durch diese drei Entscheidungen verspreche ich mir also, dass die Atmosphäre eines Arbeitswohnzimmers zustande kommt: Wohnlich, fast wie zu Hause. Diese Gestaltungsmuster waren auch auf der Workspace 3.0 sehen. Viele dort gezeigte Büromöbel könnte man sich im eigenen Wohn-/Esszimmer vorstellen. Schon seit längerem verschwimmen die Grenzen von Arbeits- und Privatsphäre zusehends, und nun passiert dasselbe bei den Büromöblierungskonzepten.


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Tags: Kolumne



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