Digitaler Maulkorb – mein Retusche-Favorit

Die digitale Abbildung der «Wirklichkeit» wird mit Filtern und ähnlichen digitalen Tools aufgehübscht – oder auch verfälscht. So sehr sind wir schon daran gewöhnt, dass der Ausdruck «gephotoshopped» sich bereits im Sprachgebrauch festgesetzt hat. Die Möglichkeiten des digitalen Retuschierens sind jedoch viel bunter als man gemeinhin denkt.

Neben denen für Fotos gibt es auch Bearbeitungen von Videoaufzeichnungen. Während das magische Verschwinden von Ähms und Umhhs zu begrüssen ist, mag man das Ausbügeln von aussagekräftigen Stellen für fragwürdig halten. Zum Nachdenken darüber regte jedenfalls die Diskussion im Netz an, ob da ein Corona-Husten unter den Teppich gekehrt worden war:  Spekulationen machten die Runde, ob die Videobotschaft von US-Präsident Trump aus dem Krankenhaus unverfälscht oder z.B. mit «Morph Cut» entsprechend bearbeitet worden war.

Nicht fragwürdig, aber eher unnötig finde ich, wenn man für den Videoauftritt in Onlinemeetings digital «in die Maske» geht. Media&Learning jedenfalls preist in ihrem Beitrag eine Webcam-Software an, mit der man seinem Videobild die Haut glätten und sogar «virtuelles Make-up» auflegen kann.

Dann bieten sich auch noch Text und Sprache zum Retouchieren an. Nachdem ich bis hierhin eher nur gelästert habe, finde ich diesen Digitalen-Maulkorb-Algorithmus richtig gut! Die Initiative «The Polite Type» (Fundstück im GI-Radar Nr. 272), welche die finnische Firma TietoEVRY zusammen mit Jugendlichen startete, ist mein Favorit unter den Retusche-Tools. Bei dieser «Anti-Mobbing-Schriftart» werden typische „Hatespeech“-Floskeln in Social Media durch höfliche bzw. gegensätzliche Formulierungen ersetzt; z.B. wird «you’re worthless» zu «you matter». In einigen Fällen, wie «ass****», sind diese Begriffe dann unleserlich überpixelt, etwa wenn sie sich nicht durch rücksichtsvollere Wörter ersetzen lassen.

So einen Sprachassistenten hätte Melina Trump für ihr gesprochenes Wort gut gebrauchen können. Eine ehemalige Vertraute, S. Wolkhoff, hat nämlich kürzlich den Mitschnitt eines Telefongesprächs mit ihr öffentlich gemacht. Darin flucht die First Lady, was nicht so recht zu ihrem Image passt. Darin – siehe “Melania Tapes” – benutzt sie Ausdrücke wie: «I put my ass off …» und «who gives a fuck about …».

Sowas, realtime für Sprache, gibt es wohl noch nicht. Mit geschriebener Sprache wird allerdings schon kreativ experimentiert: Für die Twitterer unter uns gäbe es beispielsweise von @Karpi einen Schrifttyp-Filter. Er stellt als Gratisdownload den Code bereit, mit dem Tweets von Accounts mit bestimmter politischer Ausrichtung in Frakturschrift dargestellt werden, so dass sie schon visuell den von ihm zugeschriebenen «Anstrich» erhalten.

Beispiele dieser Art kennen Sie bestimmt noch viele mehr, deshalb bitte gerne als Kommentar hinterlassen! Nur, welche Styling-Tools soll man gut, welche «böse» finden? Da hilft uns vielleicht bald eine Ampelkennzeichnung, wie man sie für IT-Hacker kennt. Neben den bösen Black-Hat- und den guten White-Hat-Hackern gibt es auch mehrere Zwischentöne. Also gleich mit der Ihrer Meinung nach passenden Farbmarkierung versehen.


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Tags: Kolumne



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