Dozenten-Ichs und Klebeband für Lehre-Videos

Welches Dozenten-Ich haben meine Studierenden in der Online-Lehre während des COVID-19 Lockdown kennen gelernt? Ob in Zoom oder einem anderen Online-Meeting-System: Einen «Talking Head» inmitten eines Mosaiks von weiteren Köpfen. Mit der Zeit hat man davon genug gesehen. Alternativen gibt es durchaus. Wer in die Unterrichtsräume geht, die inzwischen mit Raumkameras ausgestattet sind, kann sich in Weitwinkelperspektive im Ganzkörperbild zeigen. Noch mehr Bewegungsfreiheit hat man, wenn man selbst Videos mit sich als Protagonist dreht. Damit stellen sich natürlich Gestaltungsfragen zum Dozenten-Ich-Auftritt, die darüber hinaus reichen, welches Hintergrundbild man wählt oder ob man die Leute in die persönliche Wohn- oder Arbeitsumgebung gucken lässt. Was von sich als Dozent soll man denn «ins Bild setzen» – wenn man nicht mehr nur am Schreibtisch sitzt?

Vor diese Frage gestellt erinnere ich mich an einen Professor, der schon vor Jahren mit Videos für die Lehre fasziniert hat. Mein Bookmarking-Tool offenbart, dass ich mir vor genau 10 Jahren seinen Video-Hit «The Machine is (Changing) Us» gemerkt habe. Ein Blick in Youtube bestätigt die Vermutung: Dieser Michael Wesch war weiter produktiv und hat gerade jetzt, wo Videos zur Online Lehre uns alle angehen, seinen Youtube-Kanal: https://www.youtube.com/mwesch frisch bestückt.

Ich gucke mir aus der «Teaching Without Walls» Playlist «Super Simple Videos» an, und denke die paar Minuten sollten reichen. Er macht das aber so interessant und kurzweilig, dass ich auch noch dieses und jenes anschaue, und fast vergesse, wonach ich gesucht habe. Nun, welche Antworten finden sich da zur Frage des «Sich-ins-Bild-Setzens»?

Privates Umfeld ausklammern? Wesch scheut sich nicht, Kinder und Frau mit ins Bild zu nehmen. Das sieht man u.a. in «10 Online Teaching Tips beyond Zoom» und in «Teaching Online by Going Offline: The Adventure Lecture». Für ihn gibt es keine rigorose Trennung von Beruf und Privatleben – er macht Work-Life-Blending. Wo er gerade auf Reisen ist, sucht er nach Lehrmaterial für seine Kurse – und macht dabei Ferien mit der Familie, was er in den Filmen auch gar nicht versteckt.

Verhaspler und Fehler rausschneiden? Was Wesch aus den Aufnahmen rausschneidet ist wovon er denkt, dass er damit die Zeit seiner Lernenden verschwendet. Seine Fehler wie Verhaspler und Missgeschicke, auch dass er selbst vieles erst lernen musste: Die zählen nicht zu Wegwerfmaterial. Im Gegenteil. Er findet, dass diese ein wichtiges Element sind, mit Authentizität und auf Augenhöhe eine Verbindung zu den Studierenden aufzubauen.

Diese beiden Gestaltungsprinzipien kriegt, wer will, wohl jeder hin. Aber über folgendes staune ich fragend:

Ohne Kameraassistenz selbst im Bild und in Bewegung? Man sieht ihn von vorn, flott beim Spazierengehen auf sich zu laufen, während er im Gespräch mit einem Interviewpartner ist – wie macht er das? Ah, da ist eine 360-Grad-GoPro-Kamera im Spiel und der Selfie-Stick wird von der Videobearbeitungssoftware wohl automatisch weg-retouchiert. Das ist High-Tech, klar. Super simpel dagegen sind seine Tricks mit Klebeband, mit denen man sich den Kameramann oder die Kamerafrau erspart. Das hätte ich mal früher wissen sollen – wie oft habe ich mich schon mit einem selbstgebastelten Stativ-Aufbau abgemüht, um dann doch jemand um Hilfe zu bitten. Schauen Sie selbst, was Wesch sich da gebastelt hat.

Wesch: Make Super Simple Videos https://youtu.be/s0lQJvBC_1I
Wesch: Engage Students Online https://youtu.be/9nQn8D0yUnc

Smartphone und Redetext einfach an die Fensterscheibe kleben! Und für die «Point-of-View»-Perspektive – wenn man filmen will, was man vor Augen hat – einfach das Handy mit der Klebebandlasche im Mund halten – genial einfach!

Nie war eine bessere Zeit, einen Lernsprung Richtung Edutuber zu machen. Der situative Kontext ist ideal: Es gibt echten Problemdruck, denn wie gewohnt geht es momentan einfach gar nicht. Und was man lernt, kann man auch sofort «in echt» anwenden. Niemand erwartet Perfektion – Fehler werden von allen Beteiligten im Übergang zum «New Normal» verziehen.


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Tags: Kolumne



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