Letzte Woche haben uns die Medien auf eine Zeitreise 30 Jahre zurück mitgenommen, um an das denkwürdige Ereignis des Mauerfalls in Berlin zu erinnern. Auch das CERN, an dem das WWW seinen Anfang nahm, feierte dieses Jahr dessen 30. Geburtstag. Gerade Rückschauen auf die Entwicklung digitaler Technologien machen einem bewusst, wie schwer man sich erinnert wie es früher war und wie sehr man sein Leben und Arbeiten dadurch verändert hat.
Als Gedankenstütze kam der wöchentliche TheScope-Newsletter von Dr. Peter Hogenkamp gerade recht, in dem sich Mitte Oktober dieses kuratierte Fundstück aus der Feder von Tagesanzeiger-Journalisten fand: Mit welchen Technologien sind Sie aufgewachsen? Das war mir die 2 CHF wert, die der 24h Tagespass für den Zugang zum Content kostet.
Wie wir telefonieren finde ich das eindrücklichste Beispiel für die steile Entwicklung. Ende November wird hier in der Schweiz die letzte Telefonkabine abgebaut werden. Vor meinem inneren Auge tauchen zur Telefonie folgende Bilder auf. 1993 hatte ich mein erstes Mobiltelefon, so einen Motorola-Knochen mit Antenne. Nicht weil ich ein Early-Adopter war, sondern aus purer beruflicher Notwendigkeit auf meinem ersten Lehrstuhl. Nur wenige Jahre nach der Wende war die Kommunikationsinfrastruktur noch nicht flächendeckend auf Westniveau: An der Wirtschaftsfakultät der Uni Halle gab es damals nur ein oder zwei Amtsleitungen, die natürlich immer besetzt waren. Arbeiten ohne Telefonieren? Das ging nicht; also griff ich zu dieser Selbsthilfe.
Ein späteres Mobiltelefon war dann schon ein «nice-to-have» Lifestyle-Produkt. Während meine Handys der letzten Jahre entsorgt sind, habe ich dieses aufgehoben: Den Handschmeichler Motorola PEBL, gekauft in Hongkong während meines Faculty Exchange in 2006. Das Aufklapp-Design ist so besonders und lässt es mich behalten, nicht die Erinnerung, ein paar Monate in Hongkong gelebt zu haben. Und sieh an – über 10 Jahre später gibt es mit den faltbaren Bildschirmen dieses Design auf andere Art wieder.
Ähnlich viele Generationen – in immer kürzeren Abständen – haben die Datenträger durchlaufen; selbst die Jüngeren unter uns kennen mehrere aus eigener Nutzungserfahrung. Bei mir ist es das gesamte Spektrum (siehe Titelbild links oben): In der Abbildung von den Lochkarten links oben bis zu den Cloud-Serverfarmen rechts unten. Meine ersten Code-Zeilen aus dem Fortran-Programmierkurs wurden noch am Rechenzentrumsschalter als Lochkartenstapel zur Verarbeitung abgegeben. Inzwischen füllen etliche Datenspeicher die Schubladen im Arbeitszimmer, obwohl ich beim Ausmisten ziemlich gut bin (siehe: https://aback-blog.iwi.unisg.ch/2019/09/19/digital-ausmisten-im-stil-von-marie-kondo/).
Als drittes Beispiel kann man sich die Entwicklung der Musik vor Augen führen – auch dramatisch. Der Niedergang der CD ist mir erst ins Bewusstsein gerückt, als ich mein fast 20 Jahre altes Auto durch einen Neuwagen ersetzten musste – denn meine persönliche Musiksammlung funktioniert darin nicht mehr, da es die passenden Abspielgeräte nicht mehr gibt. Verhaltensmässig bin ich auf der Stufe «CDs im Handschuhfach» stehen geblieben. Den Sprung, Musik aufs Handy zu laden oder ein Music-Streaming-Abo abzuschliessen, muss ich erst noch vollziehen, denn Kopfhörerstöpsel im Ohr war nie mein Ding. Derzeit behelfe ich mir damit, Musik über die Smartphones meiner Beifahrer/innen ins Auto zu holen, was auch seinen eigenen Reiz hat.
Kaum vorzustellen, diese Entwicklungsdynamik in die Zukunft zu projizieren: Kann es wirklich exponentiell so weiter gehen? Werden wir in 30 Jahren einfach an ein Musikstück denken, und schon haben wir es wie einen Ohrwurm im Gehör? Wie werden wir «Telefonieren» und wie Filme schauen? Da kommt man ins Sinnieren. Toll wenn so ein Zeitungsartikel einem dabei in das Wechselbad von Nostalgie und Phantasie eintauchen lässt.
Autor: Prof. Dr. Andrea Back
Tags: Kolumne
2 Kommentare
Roman Handl
Danke für den Link auf den Blog von Peter Hogenkamp, seine Spuren sind also nicht nur an der HSG weiterhin aufzufinden.
Vielleicht lohnt sich aber auch vor allem ein Blick zurück. Mehr als 20 Jahre sind vergangen, seit es mir erlaubt worden war, an der HSG arbeiten zu dürfen. Zu Beginn war eine grosse Aufbruchsstimmung, zu der auch P. Hogenkamp mit seinem Engagement beigetragen hatte. Die damals führende Kollaborationsplattform bot Vieles, das eine neue Form der Zusammenarbeit ermöglicht hätte.
Vorwärtsspulen bis in die Gegenwart und die Ernüchterung setzt ein: Noch immer geht es darum, wie mit Hilfe von persönlichen Emails und über das Teilen von Einzelpersonen erstellten Dateien, ein besseres Zusammenarbeiten ermöglicht werden sollte.
Zurück auf Feld Eins ist, was sich die meisten wünschen, die ihre autistischen Eigenheiten als unbedingte Voraussetzungen in den Vordergrund stellen, damit ein erfoglreiches Teilen möglich sein könnte.
Es hilft nichts, dass diese autistischen Verhaltensweisen durch neue Techniken kaschiert, also gefördert werden.
Interessant ist ja auch, dass es eine Gegenbewegung zur allgemeinen Digitalisierungseuphorie gibt:
https://www.amazon.de/gp/product/0525542876/ref=dbs_a_def_rwt_bibl_vppi_i2£
Darauf läuft es m.M. hinaus: Digital kann sinnvoll sein, Zusammenarbeit ist menschlich. Menschlich ist nicht nur Null oder Eins, es gibt Grauzonen, die nicht durch digitale Regeln, die weiterhin auf dem Entscheiden zwischen 0 und 1 basieren, bestimmt werden.
Prof. Dr. Andrea Back
Danke Roman für die Erinnerung an die Aufbruchstimmung, die anfangs der 90er Jahre herrschte, als die HSG mit der damals visionären Kollaborationsplattform pionierhaft unterwegs war. Von Peter Hogenkamp habe ich durch die Zusammenarbeit in der Erstsemestervorlesung “Einführung in die Informatik I” – ja, das gab es damals 1993/94 ff. an der HSG – Umdenken gelernt: Dass man ohne E-Mail-Spaghetti-Kommunikation und ohne Dateianhänge an gemeinsamen Daten/Dokumenten arbeiten kann. Ernüchtert bin auch ich, wenn ich sehe, wie wenig diese Vorteile im letzten Vierteljahrhundert die Arbeitsweisen hier verändert hat. Warum nur ist es den Leuten in eigener Sache so wenig wert, effektiver und effizient zu arbeiten? Warum trauen sich so wenig Führungskräfte ran, das für die eigene Organisation einzufordern? Ich hoffe, dass der Tipping-Point doch einmal kommt, und hoffentlich aus einem AHA-Effekt und Erleichterungsgefühl heraus und nicht weil eine Not oder Krise keinen anderen Ausweg mehr lässt.