Kreativität ist unbequem und voll Schamesröte

Kreativität liegt den Innovationen zu Grunde, die unser Leben und die Zukunft bestimmen. Was wäre spannender als ihren Geheimnissen auf den Grund zu gehen? Im aktuellen Dokumentarfilm «The Creative Brain» (Netflix 2019) stellt der Neurowissenschaftler David Eagleman aktuellste Erkenntnisse dazu vor. Kreative aus den unterschiedlichsten Bereichen – Technologie, Musik, Kunst, Architektur und Kulinarik – kommen zu Wort.

Bevor ich die ausplaudere, halten Sie doch erst mal inne und notieren Sie drei Überzeugungen, die Sie selbst über Kreativität haben.

Hier, was auf meinem Zettel steht:

  • Es ist ein Talent, das nur bestimmten Leuten vorbehalten ist.
  • Sie sitzt vor allem in der rechten Gehirnhälfte.
  • In der traditionellen Art von Schule verkümmert Kreativität; aber man kann Methoden lehren und lernen, um kreativer zu sein.

Nachdem ich den Film geschaut habe, kommt jetzt der «Reality Check». Um es vorweg zu nehmen, die ersten beiden Vorstellungen sollte ich vergessen. Aber am dritten Punkt ist was dran. Allerdings sind es weniger Methoden für Kreativität, sondern vielmehr «Mindset», d.h. Einstellungen und entsprechendes Verhalten, die dafür gedeihlich sind.

Kreativität ist, was menschliche Gehirne so tun, erfahren wir von Egaleman. Wir alle sind ganz natürlich so veranlagt. Und das mit dem Ort im Gehirn muss man sich anders vorstellen. Im Gegensatz zu vielen Tieren, wo die Gehirnareale von Reiz und Reaktion sehr nahe bei einander liegen, ist beim menschlichen Gehirn recht viel Gehirnmasse dazwischen (siehe Bild zum Beitrag). Auf diesem weiten Feld zwischen Reiz und Aktion kann durch die massive Vernetzung und mit all dem, was jeden Tag an neuer Erfahrung dazu kommt, allerhand Unvorhersehbares geschehen. Kreativität ist also kein bestimmter Sektor im Gehirn, sondern das Zusammenspiel von Milliarden von Neuronen. Was rein kommt, wird umgedeutet, aufgebrochen, kombiniert, und neugestaltet. Und das Wort «Spiel» hat auch seine volle Berechtigung: The richer and broader the inputs, the more the brain has to play with.

Jetzt wollen wir aber wissen, wie man kreativer wird. Der Neurowissenschaftler nennt drei Facetten.

  • Das Gehirn braucht sehr viel Energie. Unser Körper will die nicht verschwenden, sondern für drohende Gefahrensituationen was in Reserve haben. Der menschliche Normalmodus ist deshalb, in eingespielten Routinen zu verharren und den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Kreative setzen sich über diese Bequemlichkeiten hinweg und suchen andere Wege als die des geringsten Widerstands. Nic Cage sagt über seinen kreativen Prozess, dass er sich fühle wie in einer Schlacht. Es ist also nicht so, dass uns kreative Eingebungen mühelos zufallen.
  • Gut hat unser Hirn gleichzeitig den natürlichen Drang, dem immer Gleichen zu entfliehen und lechzt nach Neuem und Aufregendem. Um auf den Sweet Spot zwischen vertraut & bekannt und völlig abwegig & oft sogar gefährlich zu kommen, muss man Grenzen ausloten, mutig sein. Und wo fängt er an, dieser kreative Mut? Die Sängerin Claire Boucher, alias Grimes, sagt: Jenseits der Komfortzone. Schäme ich mich oder fühlt es sich seltsam an? Dann heisst das, los mach’s! Dem stimmt auch Nic Cage zu: The line that is really exiting is the shameful line, or the line “I really can’t say that”.

Kleines Zwischenfazit. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Während ich ersteres ganz gut beherrsche, habe ich bei dem Kreativitätstipp, das zu tun was einem die Schamesröte ins Gesicht treibt, grossen Nachholbedarf, ja durchaus Angst davor.

  • Das führt uns zum dritten Gesichtspunkt, der Angst vorm Scheitern, die wir eben gerade nicht haben sollten: Denn die erstickt den Mut. Als Kreative/r muss man Risiken wagen, denn aus Fehlern lernt man. Sie sind schliesslich auch Input, der mit in die Erfolge reinvernetzt ist.

David Eagleman schliesst mit der Aufforderung: Drink in the world and produce something! Schöner kann man es nicht sagen; viel schöner als die Motti aus einer meiner früheren Kolumnen: «No Bla, just Do» oder «There is only MAKE».


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