Jäger, Hirten, Krtiker – Eine Utopie für die digitale Gesellschaft (Buchreview)

Die Digitalisierung hat viele Gesichter: sie betrifft Individuen ebenso wie Unternehmen. Aber sie hat insbesondere auch eine gesellschaftliche Dimension. In ihr steckt das Potential unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem grundlegend zu verändern. Deshalb braucht es eine gesellschaftliche Debatte über die Digitalisierung, die über den Ausbau der Netzabdeckung oder die Notwendigkeit von Programmierkursen in der Schule hinaus geht. In seinem Buch “Jäger, Hirten, Kritiker” bemängelt der deutsche Philosoph Richard David Precht insbesondere das Fehlen einer Utopie für die digitale Gesellschaft – also einer positiven Vorstellung davon, wie wir zusammen leben, und eine Gesellschaft gestalten wollen, wenn Algorithmen, Big Data und künstliche Intelligenz unser bisheriges Wirtschaftssystem auf den Kopf stellen.

Der Titel des Buches ist angelehnt an ein Zitat von Karl Marx: schon 1846 hatte dieser von einer Gesellschaft geträumt, in der ein jeder frei sei “heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden”. Ein notwendiger Schritt zur Verwirklichung einer solchen Gesellschaft wäre dabei – sowohl bei Marx als auch bei Precht – die Überwindung der Lohnarbeit, bei der sich der Angestellte vom Produkt seiner Arbeit entfremdet. Während Marx diesen Schritt bereits im Maschinenzeitalter prophezeite (und wie wir heute wissen damit falsch lag), könnten die Digitalisierung und die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz diese Vision nun doch wahr werden lassen. Ob dies der Fall sein wird ist umstritten. Eine McKinsey Studie von 2017, zum Beispiel, rechnet vor, dass bis zum Jahr 2030 bis zu 800 Millionen heute existierender Jobs wegfallen könnten. Andererseits, so argumentieren Kritiker der “End of Work” Theorie, werden auch viele neue Jobs entstehen, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen (als Gegenargument sei auf Yuval Harari verwiesen, der in “Homo Deus” argumentiert, dass Menschen zukünftig kaum noch etwas besser können werden als Maschinen, nachdem diese nun nicht nur physische, sondern auch kognitive Arbeit ersetzen). Precht jedenfalls geht davon aus, dass selbst ein Wegfall von Jobs im niedrigen zweistelligen Prozentbereich unsere Gesellschaft vor eine historische Zerreissprobe stellen würde. Ein anderes System muss also her, das die Chancen der Digitalisierung nutzt und den Menschen ein möglichst erfülltes und glückliches Leben ermöglicht.

Als Fundament dieses System sieht Precht – wie viele andere Philosophen und Politiker, die sich mit dem Problem der Entkopplung von Lohnarbeit und Wertschöpfung beschäftigen – das bedingungslose Grundeinkommen. Während dieses vor einigen Jahren für die meisten Menschen noch als linke Spinnerei galt, haben seine Befürworter inzwischen längst eine grosse Anhängerschaft aus verschiedenen Lagern gefunden. Auch wenn das Grundeinkommen – das weiss auch Precht – kein Allheilmittel für alle Probleme ist, so ist eine materielle Grundsicherung dennoch entscheidend, wenn die digitale Welt nicht zu einer Dystopie mit vielen Verlieren werden soll. Zur Finanzierung des Grundeinkommens schlägt er eine Mikrosteuer auf Finanztransaktionen vor.

In der Folge geht Precht auf verschiedene Fragen ein, die es im Zusammenhang mit der Digitalisierung und einer neuen Gesellschaftsform zu klären gibt, darunter Fragen wie: Wie definieren wir den Leistungsbegriff neu? Wie lässt sich die Macht der Silicon Valley Riesen brechen? Wie viel Selbstoptimierung wollen wir wirklich und braucht das Leben nicht auch eine gewisse Imperfektion? Auch wenn man nicht bei allen Antworten und Lösungsvorschlägen Prechts mit ihm auf einer Wellenlänge sein muss, so gibt das Buch doch wichtige Denkanstösse. Vor Allem aber ist das Werk ein Plädoyer fürs Mitgestalten: wir sollten die Digitalisierung nicht erwarten wie das Wetter, sondern uns aktiv mit der digitalen Zukunft auseinandersetzen.


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Tags: Digital, Future of Work



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